Samstag, 20. März 2010

Wiesensteiger Geopfad - Anspruch und Wirklichkeit


Die Region Stuttgart ist keine Insel der Seeligen. Das gilt auch für die Wege in der Region, die Wege, die man im Alltag zurücklegt und die Wege für die Freizeit. Heute muss ich über ein Beispiel berichten, wie man es nicht machen sollte. Und dieses Beispiel befindet sich in der Stadt Wiesensteig im Landkreis Göppingen. Man könnte allenfalls noch anfügen, dass es ähnliche Beispiele bestimmt auch in anderen Kommunen und anderen Kreisen gibt.

Im Jahr 2009 wurde in Wiesensteig der Wiesensteiger Geopfad eröffnet. Ziel dieses touristischen Wegs ist es, mehr Besucher in die Stadt zu locken und den Tourismus in Wiesensteig zu fördern. Das fügt sich ein in die Bestrebungen des ganzen Landkreises Göppingen, den Tourismus zu fördern. Die verantwortlichen Stellen des Landkreises führten in der Vergangenheit immer wieder Klage darüber, dass der Landkreis und dessen schöne Landschaft vom Tourismus vernachlässigt werden. Die Touristen bevorzugen andere Regionen des Landes, zum Beispiel den Schwarzwald, den Bodensee oder das Allgäu. Die Schwäbische Alb im Landkreis Göppingen bleibt links liegen.

Das hier zu besprechende Beispiel liefert möglicherweise einen Hinweis darauf, dass es für das Verhalten der Touristen Gründe gibt. Der Wiesensteiger Geopfad wurde erst vor kurzem auf der CMT in Stuttgart, der größten regionalen Touristikmesse Europas, einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Prospekte zum Geopfad wurden verteilt. Auf der Internetseite der Stadt Wiesensteig wird der Geopfad als neueste Errungenschaft präsentiert.

Vor Ort sieht die Sache jedoch anders aus - und das gleich in mehrerer Hinsicht. Erreicht man den Ausgangspunkt des Geopfads, den Parkplatz Papiermühle im obersten Filstal, findet man dort überhaupt nichts vor, was auf den Geopfad hinweisen könnte. Es gibt keine Erläuterungstafel und es gibt keine Karte mit dem Wegverlauf. Anhand des mitgebrachten Prospekts kann man dann zu den einzelnen Informationstafeln wandern.

Das Gebiet, durch das der Wiesensteiger Geopfad verläuft, wird zum Teil intensiv forstwirtschaftlich genutzt, so dass ein Vorankommen für die Touristen teilweise nicht möglich ist.

Nun hört man die Forstwirtschaft sagen, dass auch die im Wald arbeitenden Menschen heutzutage ein Anrecht auf arbeitserleichternde Maschinen haben. Ein Arbeiten mit der Hand oder mit einem Rückepferd sei nicht mehr zumutbar. Das ist soweit in Ordnung, lautet hierauf die Antwort. Aber dann sollten auch die Konsequenzen daraus gezogen werden: Forstwirtschaft und Tourismus, Forstwirtschaft und Erholung sind heute nicht mehr miteinander vereinbar. Es kommt ja auch niemand auf die Idee, Touristen auf einen Maisacker zu locken oder in eine Fabrik.

Was ist eigentlich los mit dem Landkreis Göppingen? Nur wenige Kilometer westlich von Wiesensteig, auf dem Gebiet des benachbarten Landkreises Esslingen, beginnt das Biosphärengebiet Schwäbische Alb. Dort sind 3 Prozent der Fläche als Kernzone ausgewiesen. Dort kann zukünftig wieder Wildnis entstehen. Was für eine touristische Attraktion! Der Landkreis Göppingen ziert sich, dem Biosphärengebiet beizutreten. 

Aber um eine zukünftige Zonierung kommt auch der Landkreis Göppingen nicht herum. Die Biodiversitätsstrategie der Bundesregierung fordert bis zum Jahr 2020 einen Wildnisanteil von 2 Prozent der Gesamtfläche Deutschlands. Umgerechnet auf die Waldfläche bedeutet dies 5 Prozent und umgerechnet auf die Waldfläche der öffentlichen Hand 10 Prozent Wildnisfläche.

5 Prozent der Wälder sind also auch im Landkreis Göppingen früher oder später streng zu schützen. Darüber hinaus sollten weitere 20 Prozent der Waldfläche als Erholungswald deklariert werden, in dem die Forstwirtschaft nichts zu suchen hat. Auf den restlichen 75 Prozent der Wälder (immerhin) kann dann die Forstwirtschaft machen was sie will, dort können die Motorsägen heulen, dort können schwere Maschinen im Abstand von 40 Metern Rückegassen in den Untergrund treiben.

Bis zum Jahr 2050 sollte allerdings der Anteil der Erholungswälder auf 50 Prozent steigen. Ein Blick über den Zaun (über die Staatsgrenzen hinaus) lohnt immer. So haben die Regierungen der kanadischen Provinzen Quebec und Ontario bereits erklärt, bis zum Jahr 2020 verbindlich die Hälfte ihrer Waldflächen (50 Prozent) als Wildnis zu entwickeln. Nur so kann nach Auffassung dieser Regierungen die lebensnotwendige CO2 - Aufnahme (Kohlendioxid-Senke) der Wälder erhalten werden.

Es gibt also viel zu tun. Aber eine Empfehlung für den Wiesensteiger Geopfad oder darüber hinaus für den Tourismus im Landkreis Göppingen kann man zur Zeit nicht aussprechen.

Wiesensteig ist einer der Top-Orte in der Region Stuttgart. Hier gibt es eine Übersicht über Wiesensteig. Von dort sind alle Artikel in diesem Blog, die sich mit Wiesensteig befassen, verlinkt.    
Und tatsächlich: die Informationstafeln gibt es, sie sind nicht einmal schlecht gestaltet. Aber was nutzen einem Besucher irgendwo in der Landschaft stehende Tafeln, wenn man sich vorher einen Prospekt irgendwo abholen muss, um diese Tafeln zu finden? Auf diese Weise wird dem Wiesensteiger Geopfad dasselbe Schicksal beschieden sein wie manch anderem Lehrpfad. Er wird kaum begangen werden und irgendwann verfallen und in Vergessenheit geraten. Aber es kommt noch schlimmer:

Es gibt bei den Informationstafeln oder unterwegs auf der Strecke keinerlei Informationen über die Richtung und den Wegverlauf. Der Wegverlauf auf dem Bild oben ist zum Beispiel wie folgt: Der Weg kommt von hinten im Bild über die Teerstraße nach vorne und biegt am Standort des Fotografen in einer 180 Grad - Kehre auf den Gras- und Erdweg ab, der nach rechts hinten leicht ansteigend weiterführt. Nicht die Spur einer Markierung ist vorhanden. Wie soll denn ein Besucher auf die Idee kommen, dass der Geopfad diesen Wegverlauf nimmt?
Aber das ist leider noch nicht alles. Nur wenige hundert Meter hinter dieser Stelle bleibt man sprachlos stehen.
Vor der nächsten Informationstafel bleibt man in einem knöcheltiefen Morast stecken, ein Weitergehen ist selbst für Hartgesottene nicht mehr möglich.

Es ist kaum zu glauben: an dem Berghang, an dem der Wiesensteiger Geopfad entlangführt, wird Forstwirtschaft betrieben. Riesige Fahrzeuge mästen die Wälder und verwandeln die Forstwege in ungangbare Schlammpisten. Deswegen, liebe Wiesensteiger Stadtverwaltung und liebes Landratsamt Göppingen, haben wir nicht den weiten Weg hierher gemacht. Unter diesen Umständen hätte eine Werbung für den Wiesensteiger Geopfad unterbleiben müssen. Weder in den USA, noch in Kanada, noch in Spanien (die Verhältnisse in diesen Ländern kenne ich einigermaßen) wäre so etwas denkbar: ein touristischer Weg, der durch eine Forstfabrik läuft.

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