Sonntag, 18. Dezember 2011

Neuer Spaziergang durch Stuttgar`s Europaviertel


Das Europaviertel zwischen dem Stuttgarter Hauptbahnhof und der Heilbronner Straße ist zur Zeit eines der größten städtebaulichen Entwicklungsgebiete in Stuttgart. 

Das Gebiet war schon zweimal Thema in diesem Blog. Im Post vom 03.04.2010 gab es schon einmal einen Spaziergang durch das Europaviertel und im Post vom 28.10.2011 war die Aussicht vom Dach der neuen Stadtbibiothek an der Reihe.

Der Begriff Europaviertel leitet sich daraus ab, dass die Straßen und Plätze dieses Viertels nach großen europäischen Städten benannt sind bzw. noch werden. Mit dem Begriff Europaviertel verbindet sich jedoch auch eine gewisse Erwartungshaltung an städtebauliche Qualität. Und diese Erwartungshaltung - das haben wir schon in den beiden früheren Posts gesehen - kann das Gebiet wohl nur sehr eingeschränkt erfüllen. Jetzt wird es trotzdem Zeit für einen neuen Spaziergang, bei dem man die in den letzten anderthalb Jahren erfolgten Veränderungen begutachten kann.

Startpunkt des Spaziergangs ist der Nordausgang des Stuttgarter Hauptbahnhofs.

Beim Nordausgang des Stuttgarter Hauptbahnhofs befindet sich der wohl berühmteste Bauzaun Deutschlands.
Der im Sommer 2010 erfolgte Abriss des Nordflügels des Stuttgarter Hauptbahnhofs für das Projekt Stuttgart 21 - eine Machtdemonstration der damaligen Landesregierung - führte zu einem Aufschrei in der Bevölkerung. Tausende Statements und Anklagen wurden an den Bauzaun geheftet. Der heute vor Ort vorhandene Bauzaun ist bereits die zweite Version. Denn der erste Bauzaun befindet sich als historisches Dokument bereits im Haus der Geschichte Baden-Württemberg und wird dort noch bis April 2012 in einer Sonderaustellung gezeigt.

Die Reaktion vieler Politiker auf die am Bauzaun veröffentlichten Meinungen und Anklagen war, dass man das Volk doch besser "mitnehmen" und informieren müsse. Auf die Idee, dass diese deutschlandweit einmalige Volksempörung darauf zurückgeht, dass es sich bei Stuttgart 21 um das schlechteste Verkehrsprojekt in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland handelt, kam kaum ein Politiker. Solche Gedanken und Schlussfolgerungen scheinen auch im aufgeklärten 21. Jahrhundert bei vielen Politiker immer noch ein Tabu zu sein.

Auf dem seit dem Abriss des Nordflügels brachliegenden Gelände hat die Bahn ein großes Transparent aufstellen lassen, das für den Stuttgart 21 - Bahnhof werben soll.

Werbetransparent der Bahn hinter dem Bauzaun am ehemaligen Nordflügel des Hauptbahnhofs
Betrachtet man das Transparent länger als 5 Sekunden, wird man geschockt. Da wird doch tatsächlich die Rückseite des Bahnhofsgebäudes, die vom Erbauer Paul Bonatz niemals als die sichtbare Seite des Bahnhofs gedacht war, als zukünftige Hauptseite, von der Oberfläche über dem Tiefbahnhof prominent sichtbar, dargestellt. Vielleicht ist den Zeichnern des Transparents bei diesem Gedanken doch Angst und Bange geworden. Denn ganz schnell haben sie vor diese Gebäudeseite noch eine große, das Gebäude halb verdeckende Baumreihe gezeichnet. Eine Baumreihe, die über dem Betontrog des Tiefbahnhofs dort wohl nie tatsächlich wachsen könnte. Das trifft auch auf die vielen Bäume in Hintergrund zu. Vielleicht sind es Plastikbäume.

Wir wenden uns mit Grausen und gehen durch die beiden öffentlichen Innenhöfe des Gebäudes der LBBW (Karoline-Kaulla-Passage) zum Pariser Platz. Dort ist inzwischen das Gebäude der Pariser Höfe fast im Rohbau fertig.

Die "Pariser Höfe" werden den Pariser Platz im Nordosten begrenzen.
Die Pariser Höfe sind das erste Gebäude, das ein privater Investor im Europaviertel baut und sie sind auch das erste Gebäude, das Wohnungen beinhaltet. Vom städtebaulichen Aspekt her scheinen die Pariser Höfe besser zu gelingen als die anderen Gebäude im Europaviertel. Die Fassadengliederung ist interessant, die Gebäudelinie und die Gebäudehöhe sind stimmig. Für eine endgültige Beurteilung muss man aber noch warten, bis die Materialien und Farben der Fassadenelemente feststehen.

Gleich neben den Pariser Höfen ist noch in der Woche vor Weihnachten der Spatenstich für ein weiteres Gebäude, die Sparkassenakademie. Ein Bauschild zeigt bereits das zukünftige Gebäude.
Bauschild beim zukünftigen Gebäude der Sparkassenakademie im Europaviertel

Das ist aber erneut eine Enttäuschung. Augenscheinlich sind die Pariser Höfe eine qualitative Ausnahme im Europaviertel. Dieses geplante Gebäude der Sparkassenakademie kommt sowas von bieder daher. Das passt vielleicht irgendwo auf die grüne Wiese oder in ein Gewerbegebiet. Wenn so die Zukunft der Stuttgarter Innenstadt aussieht, sollten wir vielleicht doch nach Paris auswandern.   

Über die Ende Oktober 2011 neu eröffnete Moskauer Straße geht es nun zur neuen Stadtbibliothek.
Der Gebäudewürfel der neuen Stadtbibliothek

Als bei der neuen Stadtbibliothek das Gerüst abmontiert war, konnten es viele Stuttgarterinnen und Stuttgarter einfach nicht glauben. Das kann es doch nicht gewesen sein! So einen hässlichen Klotz baut man doch nicht in den Talkessel! Kosenamen wie Bücherknast oder Stammheim II machten schnell die Runde. Ein Architekturkritiker klärte uns vor kurzem in der Zeitung auf, dass man früher in bestimmten Kulturkreisen Sargaufbewahrungsstätten so gebaut hätte, wie jetzt die Bibliothek daherkommt.

Nach den ursprünglichen Planungen sollte rund um die neue Bibliothek ein Wasserbecken gebaut werden. Wegen Kostensteigerungen hat man schließlich darauf verzichtet. Heute befindet sich an der Stelle des Wasserbeckens biederer Allerweltsrasen. So läuft es fast immer bei öffentlichen Projekten.

Von der Moskauer Straße kann man zur Zeit noch die halboffene U-Haltestelle Türlenstraße mit den dort fahrenden Stadtbahnen sehen. Das ist vor allem bei Dunkelheit recht beeindruckend. Allerdings wird dieses Bild bald der Vergangenheit angehören. Denn das gesamte Gelände zwischen Moskauer Straße und Heilbronner Straße wird demnächst zugebaut, so dass sich eine ebene Geländeoberfläche zwischen den beiden Straßen ergibt.

Blick von der Moskauer Straße zur (noch) halboffenen U-Haltestelle Türlenstraße


Über den provisorischen Fußgängersteg geht man nun zur U-Haltestelle Türlenstraße, wo der Spaziergang endet.

Weitere Informationen
 
Vom provisorischen Fußgängersteg zwischen Moskauer Straße und der U-Haltestelle Türlenstraße sieht man die beiden Tunnelstummel der geplanten Stadtbahnlinie U12. Sie sollen in Richtung Heilbronner Straße weitergeführt werden, wo wegen Stuttgart 21 der bestehende Stadtbahntunnel ebenfalls neu gebaut werden muss.

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