Dienstag, 10. Juli 2012

Der städtebauliche Niedergang der Stuttgarter Innenstadt

Stuttgart gehört zu den am schönsten gelegenen Großstädten Deutschlands. Sollte man als Stuttgarter darauf aber stolz sein, hätte man etwas nicht richtig verstanden. Auf die von der Natur vorgegebene Lage der Stadt kann man nicht stolz sein. Die Menschen haben dazu nichts beigetragen. Über die schöne landschaftliche Lage der Stadt kann man sich allenfalls freuen.

Stolz sein könnte man auf eine architektonisch und städtebaulich herausragende Innenstadt - wenn es sie gäbe. Es gibt sie leider nicht und man stellt mit Erschrecken fest, dass die Innenstadt von Stuttgart in einem ständigen städtebaulichen Niedergang begriffen ist. Das wollen wir heute bei einem kleinen Spaziergang nachvollziehen.


Der Spaziergang beginnt bei der Einmündung der Lautenschlagerstraße in den Arnulf-Klett-Platz. Es geht dann durch die Lautenschlagerstraße, links ab in die Thouretstraße, rechts ab in die Königstraße, geradeaus über den Schlossplatz, hinter dem Buchaus Wittwer rechts ab, dann links ab in die Kronprinzstraße bis zu ihrem Ende, links ab beim Rotebühlplatz, rechts ab in die Marienstraße, links ab in die Sophienstraße, rechts ab in die Tübinger Straße, unter der Paulinenbrücke hindurch, links ab in die Feinstraße bis zur Hauptstädter Straße, zurück zur Tübinger Straße, links ab in die Tübinger Straße. Dort endet der kleine Spaziergang. Die zu beobachtenden neuen Gebäude und Kommentare hierzu sind bei den nachfolgenden Bildunterschriften zu finden.   

Neues Bürogebäude zwischen Lautenschlagerstraße und Stephanstraße: das wirkt wie die Faust auf das städtebauliche Auge. Eine Fassade in der vorherrschenden Farbe schwarz und Fassadenelemente aus Stahl und Glas haben nun wirklich überhaupt nichts mit Stuttgart und mit einer Stuttgart-Identität zu tun.
Der Phoenixbau in der Unteren Königstraße in Stuttgart: das im Jahr 2008 fertiggestellte Gebäude ist ein Lichtblick im ansonsten trostlosen Einerlei der neueren Gebäude in Stuttgart. Die Fassade mit einem großen Anteil aus Stein, die Farbe der Fassade, die Gebäudelinie und die Gebäudehöhe sind Stuttgart-gerecht. Etwas zu groß geraten ist der Glasanteil in den beiden unteren Geschossen, vor allem vor dem Hintergrund, dass die moderne Ladengestaltung stets Kunstlicht vorsieht - trotz großer Fenster. Ein höherer Anteil an Stein zum Beispiel in der Form von Rundbögen in den beiden unteren Geschossen hätte dem Gebäude gutgetan. Ebenfalls nicht der Weißheit leltzter Schluss ist das zweifache Zurückversetzen der beiden obersten Geschosse. Das wirkt nicht urban und sollte unterbleiben.   
Der im Jahr 2007 fertiggestellte Kronprinzbau zwischen Kronprinzstraße und Calwer Straße näherte eine Zeit lang die Illusion, dass es mit der Baukultur in der Stuttgarter Innenstadt wieder aufwärts geht. Bis auf den Phoenixbau hat jedoch kein anderes jüngeres Gebäude diesen Stuttgart-gerechten Baustil aufgenommen.
Geht man in der Kronprinzstraße am Kronprinzbau entlang, wird man auf ein weiteres Problem der Stuttgarter Innenstadt aufmerksam: nur 50 Meter von der Königstraße entfernt stehen bereits die ersten Läden in den Neubauten wieder leer. Die Schilder sind zwar noch da, dahinter ist aber Leere. 
Neues Bürogebäude an der Ecke Kronprinzstraße / Alte Poststraße: die Läden an diesem nur 50 Meter von der Königstraße entfernten Standort lassen sich ebenfalls nur ganz schwer vermieten. Die ersten Läden stehen bereits wieder leer. Wenn man bedenkt, dass derzeit am Rand der Stuttgarter Innenstadt zwei große Einkaufszentren im Bau sind, kann einem angst und bange werden. 
Eines der beiden großen Einkaufszentren, die derzeit am Rand der Stuttgarter Innenstadt im Bau sind, ist das sogenannte Gerber. Hoffnungsvoll wird hier eine gute Shopping-Zukunft angekündigt. Die Ernüchterung wird wohl folgen.
Blick man von der Ecke Marien-/ Sophienstraße in die Baugrube des Gerber, sieht man die riesige zukünftige Tiefgarage mit vielen hundert Stellplätzen. Nun hat aber Stuttgart bereits doppelt so viele Pkw-Stellplätze in der Innenstadt wie München und mehr als doppelt so viele wie Zürich. In der Stuttgarter Innenstadt werden die höchsten Feinstaubbelastungen Deutschlands gemessen. Anstatt vor diesem Hintergrund wenigstens in einer ersten Phase den weiteren Zuwachs an Stellplätzen zu unterbinden, lässt die Stadtverwaltung munter weiter machen. 
Relativ junges Bürogebäude am Österreichischen Platz: nun ist das Verkehrsbauwerk des Österreichischen Platz selber eine Zumutung. Das heißt aber nicht, dass man dann bei der Gestaltung der Gebäude in dessen Umfeld vollständige Narrenfreiheit hat. Andere Städte würden dieses Gebäude nicht einmal in Gewerbegebieten dulden. Hier passt überhaupt nichts: die Fassadenfarben, die Fassadenelemente, die Gebäudehöhe, die Gebäudelinie passen nicht zu Stuttgart, sind nicht Stuttgart-gerecht, haben keine Stuttgart-Identität. Zu allem Überfluss handelt es sich hier auch noch um ein Bürogebäude in städtischem Besitz. Wenn nicht einmal die Stadt an einer urbanen und menschengerechten Gestaltung der Stuttgarter Innenstadt interessiert ist, wie soll man das dann von privaten Investoren einfordern?  
"Caleido" genannter neuer Bürokomplex im Bau im Viertel zwischen der Tübinger Straße, der Feinstraße, der Paulinenbrücke und der Hauptstädter Straße: wird dieses neue Gebäude wenigstens seiner städtebaulichen Verpflichtung gerecht, vor allem bei dieser großartigen Nachbarschaft der neugotischen Marienkirche?  
Ein Blick auf das Bauschild des Caleido bringt die Enttäuschung: es ist eine langweilige Glasfassade geplant. Darin kann sich dann wenigstens die Marienkirche spiegeln. Wenn das so weitergeht, werden sich irgendwann die Glasfassaden der Gebäude gegenseitig spiegeln.
Bürogebäude der WGV-Versicherungen in der Tübinger Straße: einfallslos, trostlos. Nur der sich spiegelnde klassizistische Bau des gegenüberliegenden Karlsgymnasiums verhindert die vollständige städtebauliche Apokalypse.
Hier gibt es eine Übersicht über den Stadtbezirk Stuttgart-Mitte. Von dort sind alle Artikel in diesem Blog, die sich mit dem Stadtbezirk Stuttgart-Mitte befassen, verlinkt.    

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